11.04.2020
Gründonnerstag Predigt
Predigt zu Gründonnerstag 2020 über 2. Mose 12.1-14
Und der HERR sprach zu Mose und Aaron im Land Ägypten: Dieser Monat soll für euch der Anfang der Monate sein. Der erste von den Monaten des Jahres soll er für euch sein. Sprecht zu der ganzen Gemeinde Israels: Am Zehnten dieses Monats soll jeder ein Tier für eine Familie nehmen, ein Tier für jedes Haus. Wenn aber das Haus zu klein ist für ein Tier, soll man es zusammen mit seinem Nachbarn nehmen, der dem eigenen Haus am nächsten ist, nach der Anzahl der Personen. Ihr sollt bei dem Tier in Rechnung stellen, wie viel ein jeder isst. Ein makelloses, männliches, einjähriges Tier soll es sein. Von den Schafen oder Ziegen sollt ihr es nehmen. Und ihr sollt es bis zum vierzehnten Tag dieses Monats aufbewahren. Dann soll es die ganze Versammlung der Gemeinde Israels in der Abenddämmerung schlachten. Und sie sollen von dem Blut nehmen und damit die beiden Türpfosten und den Türsturz an den Häusern bestreichen, in denen sie es essen. Das Fleisch aber sollen sie noch in dieser Nacht essen. Am Feuer gebraten, zu ungesäuerten Broten, mit bitteren Kräutern sollen sie es essen. Nichts davon dürft ihr roh essen oder im Wasser gekocht, sondern am Feuer gebraten, den Kopf mitsamt den Schenkeln und den inneren Teilen. Und nichts davon dürft ihr bis zum Morgen übrig lassen. Was aber übrig bleibt bis zum Morgen, sollt ihr im Feuer verbrennen. Und so sollt ihr es essen: die Hüften gegürtet, die Schuhe an den Füssen und den Stab in der Hand; und ihr sollt es in Eile essen, ein Passa ist es für den HERRN. Ich werde aber in dieser Nacht durch das Land Ägypten schreiten und alle Erstgeburt im Land Ägypten erschlagen, Mensch und Vieh, und an allen Göttern Ägyptens werde ich Strafgerichte vollstrecken, ich, der HERR. Und das Blut soll euch ein Schutzzeichen sein an den Häusern, in denen ihr seid. Ich werde das Blut sehen und an euch vorübergehen, und der Schlag des Verderbers wird euch nicht treffen, wenn ich das Land Ägypten schlage. Und dieser Tag soll für euch ein Gedenktag werden, und ihr sollt ihn feiern als ein Fest für den HERRN. Von Generation zu Generation sollt ihr ihn feiern, als ewige Ordnung. Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!
…eine alte, vertraute, fremde Geschichte.
Fremd, weil da so viel von Blut und fremden Sitten die Rede ist.
Wer schlachtet schon noch ein Lamm für seine Familie?
Exotisch und fremd ist das.
Vertraut ist die Geschichte, weil sie so oft erzählt wurde.
Es ist der Schluss der Geschichte von den „Zehn Plagen Ägyptens“.
Neunmal schon hatte Gott Katastrophen über das Land geschickt, um den Pharao zu bewegen, die versklavten Hebräer freizulassen.
So erzählt die Geschichte.
Und hier, in dieser Nacht, sind wir bei der zehnten, der letzten Plage angelangt.
Das ist der Höhepunkt.
Nach dieser Nacht ist Pharao endlich so beeindruckt, dass er sie losziehen lässt in die Freiheit.
Denn viele sind in dieser Nacht gestorben in Ägypten.
Aber die vom Volk der Hebräer sind verschont worden.
An ihren Häusern ist der Engel des Todes vorbeigegangen.
Im Gedenken an diese Nacht feiern Juden bis heute das Fest „Passah“, was „Vorüberziehen“ bedeutet.
Ich kenne die Geschichte seit der Christenlehre.
Und damals klang das so schön logisch.
Das Blut soll an die Türpfosten gestrichen werden.
Warum? Damit der Engel des Todes, wenn er vorübergeht, erkennt, welche Häuser er verschonen muss.
Klar. Das hat mir eingeleuchtet.
Jetzt denke ich noch einmal darüber nach und frage mich: Braucht Gott so ein Zeichen?
Weiß Gott nicht auch so, wo sein versklavtes Volk zu finden, das auf Befreiung hofft?
Und siehe da – ich lese eine jüdische Auslegung des berühmten Rabbis Schlomo Jizchaki, genannt Raschi, der vor beinahe 1000 Jahren gelebt hat.
Natürlich braucht Gott dieses Zeichen nicht, sagt er.
Deshalb, so seine Auslegung der Bibelstelle, soll das Blut auch nicht außen an der Tür, sondern innen angebracht werden.
Aha! Wer braucht denn dann das Zeichen?
Die Menschen brauchen es!
Die Menschen, die ängstlich drinnen sitzen, während draußen eine unsichtbare Gefahr durch die Gassen und Straßen zieht.
Die in den Häusern brauchen ein Zeichen von Gottes Nähe.
Die drinnen wollen sich vergewissern, dass sie unter Gottes Schutz stehen.
Und sie sollen das Zeichen anbringen, damit sie nicht vergessen, wo Schutz zu finden ist: bei Gott.
Wir Christen lesen diese Geschichte als mehrfach verschachtelte Geschichte.
Es ist nicht unsere Geschichte.
Es ist die Geschichte des jüdischen Volkes.
Wir lesen die Geschichte am Gründonnerstag, weil Jesus mit seinen Jüngern genau das Fest gefeiert hat, das hier beschrieben wird.
Jesus hat Passah gefeiert mit seinen Jüngern.
Auch an diesem Passahfest hat eine Gefahr in der Luft gelegen.
Kurz darauf wurde Jesus verhaftet und hingerichtet.
An diesem besonderen Passahfest ist ein neues Zeichen entstanden: das Abendmahl.
Es ist ein Zeichen für uns Christen geworden.
Im Abendmahl feiern wir Christi Gegenwart in unserer Mitte.
Im Abendmahl feiern wir seine Barmherzigkeit und Vergebung.
Im Abendmahl feiern wir unsere Hoffnung, dass eines Tages sich alles zum Guten wendet.
Im Abendmahl feiern wir unsere Gewissheit, dass wir eines Tages in der anderen Welt ohne Leid und Geschrei am Tisch sitzen und Gott von Angesicht sehen werden.
Nun ist allerdings alles, was wir im Abendmahl feiern, auch so wahr.
Christus ist in unserer Mitte. Er ist barmherzig und vergibt uns. In ihm und auf ihn hoffen wir.
Ist das Abendmahl also „nur“ ein Zeichen, könnten wir es auch weglassen – wenn das alles auch so stimmt?
In diesen Tagen spüren viele aus unseren Gemeinden, wie es ihnen fehlt zusammenzukommen.
Viele vermissen schmerzlich, dass sie nicht Brot und Wein in den Kirchen teilen können.
Es fehlt etwas Wesentliches, das sonst zum Leben dazu gehört.
Wir merken: wir brauchen diese „Zeichen“, die Rituale unseres Glaubens.
(Übrigens auch wir Pfarrerinnen, die immerhin noch Gottesdienste feiern – uns fehlt die Gemeinde, uns fehlen Sie alle gewaltig!)
Eine Weile halten wir ohne durch, wenn es sein muss.
Aber auf Dauer brauchen wir diese „Zeichen“.
Und eines Tages werden wir uns auch wieder in den Kirchen versammeln, werden wieder unsere Lieder singen – mit Orgel, Band oder Gitarre.
Wir werden wieder Abendmahl feiern, Kinder taufen, Jugendliche konfirmieren, Paare trauen und uns mit allen, die es wünschen, von den Toten verabschieden.
Bis dahin aber trösten wir uns in dem Wissen: die Wirklichkeit, die mit den Zeichen verbunden ist, die gibt es – gottlob – so oder so.
Gott in Ägypten war auch ohne Blut am Balken ein Schutz für die Verängstigten.
Denn er kannte sie, so wie er uns kennt – wo immer wir gerade sind.
Und der Friede Gottes, der unsere Vernunft übersteigt, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.