15.11.2019
Besinnungsworte

Pfarrerin Constanze Greiner, Ev. Kirchengemeinde St. Kilian zum 17.11.2019

Constanze Greiner

Selig sind…

Liebe Leserinnen und Leser,

an diesem Sontag wird am Volkstrauertag der Gefallenen beider Weltkriege gedacht. Grund genug, zurückzudenken. Ich bin weit danach geboren, ich weiß nicht, was Krieg ist, ich kann es mir auch nur schwer vorstellen.

Einer meiner Urgroßväter, Richard, war Sanitäter in Stalingrad. Durch eigene Verwundung wurde er selbst noch rechtzeitig ausgeflogen. Er  erzählte von eisiger Kälte, von Hunger und Verwundeten, die mit bloßen Händen versorgt werden mussten. Nach Monaten im Lazarett kam er heim. Sein Sohn, mein Großvater, sagte zu seiner Mutter: Mama, der Mann kann wieder gehen. Kurz vor Ausbruch des Krieges geboren, hatte er seinen Vater nie kennen gelernt. Dieser abgemagerte Mensch, der da am Küchentisch saß,  war ein Fremder für ihn.

Mein Urgroßvater Richard hätte sich nie als Helden bezeichnet, trotz aller Auszeichnungen, die in unserer Familie immer noch aufbewahrt werden.  Er hat überlebt. Er hatte zeitlebens nie ein besonders gutes Verhältnis zu seinem Sohn. Er hat erzählt, von Stalingrad, wenn ich ihn fragte, aber nicht besonders gern, ohne Stolz und nur so lange, wie er die Erinnerung ertragen konnte. Er war Sanitäter und Elektriker, das hat er von sich gesagt. Nie: Ich bin ein Held. Er war froh, überlebt zu haben und nach Hause in sein Dorf zurückkehren zu können. Die Vertreibung, die so viele andere durchmachen mussten, ist meiner Familie damals erspart geblieben.

So legitim es ist, der Opfer von Krieg und Gewalt zu gedenken, so verdreht scheint es mir, sie als Helden darzustellen. Söhne, Brüder, Väter, Onkel, Geliebte, mussten in den Krieg ziehen für einen Diktator, dem das Wohl und Wehe seiner Bevölkerung so gleichgültig war wie jedem Regime. Um die Gefallenen gilt es zu trauern, für die Überlebenden, zu danken, die Verbrechen, die begangen wurden, klar zu benennen.

Selig sind, die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen. (Matthäusevangelium Kapitel 5, Vers 9) So steht es im Neuen Testament. Frieden erhält, das Land, die Gesellschaft, und die Familie. Frieden braucht das Gedenken, mit ehrlicher Trauer und mit der Einsicht: So wollen wir leben. So, dass auch zukünftige Generationen nicht wissen, was Krieg ist.