25.11.2020
Ein Text über Pfifferlinge

Eine Andacht von Pfarrerin Constanze Greiner, Gemeinde St. Kilian

Noch bis Mitte November, länger als sonst, gab es in diesem Jahr Pfifferlinge, und es war eine besondere Wohltat für mich, sie zu suchen. Nicht nur, weil ich sie gerne esse, sondern auch weil mich das suchen, sehen und finden getröstet hat. Um Pfifferlinge zu finden muss man genau hinschauen. Wenn man einfach durch den Wald läuft, rennt man meistens daran vorbei, denn sie verstecken sich unter dem Moos, unter Baumwurzeln und Haufen ab geschnittener Äste. Meistens schaut nur ein kleiner gelber Fleck heraus. Man muss al so langsam gehen, genau hingucken, sich umsehen, wenn man einen gefunden hat, wo vielleicht daneben die nächsten stehen. Hat man einen solchen kleinen gelben Punkt aufleuchten sehen, lohnt es sich, das Moos zur Seite zu schieben, die Äste hochzuheben, unter die Wurzeln zu schauen. Das, was sich darunter verbirgt, ist meist um ein vielfaches größer als das, was man sieht, ich hatte handtellergroße Pfifferlinge in diesem Jahr (wenn ich auch, zugegeben, keine besonders großen Hände habe). Oft steht ein ganzes Büschel Pfifferlinge beieinander und nur einer oder zwei lugen hervor, dieser hellen gelben Punkte wie Sterne im Moos, die sich als köstliche Pilze entpuppen, wenn man nur hinschaut. Das Pfifferlingesuchen war deshalb eine besondere Wohltat in diesem Jahr, weil es das völlig Gegenteil meines Alltages ist: In dem alles zu schnell geht, die Woche sich an einem Tag zweimal total ändern kann, fertige, lange entwickelte Pläne mit einer Nachricht im Papierkorb enden können und sich beim näheren Hinschauen einiges an menschlichen Abgründen zeigt. Es war wichtig für mich, daran erinnert zu werden : Schau hin! Einem kleinen gelben Leuchten nachzugehen kann sich lohnen, genauso wie es frustrieren und ermüdend sein kann, dass nichts mehr „normal“ läuft. Es hilft, langsamer zu gehen und sich lieber einmal mehr umzuschauen, um mehr zu sehen als nur die Schwierigkeiten, die so überaus offensichtlich sind. Mit den Pfifferlingen ist es in mancher Hinsicht wie mit dem, was mir im Leben Kraft gibt. Das muss gar nicht viel sein, das ist nicht immer in voller Größe sichtbar, sogar meistens ein bisschen versteckt. S0 wie die Pfifferlinge einen ganzen Wald durchziehen können, ist das mit dem Glauben in meinem Leben auch. Diese kleinen hellen Punkte, die, wenn ich genau hinschaue und mal das Moos und die Äste und die Wurzeln beiseite räume, ganz große herrliche Pfifferlinge sein können, die wie zufällig dort stehen und nur darauf warten, geerntet zu werden, die kleinen Freuden und Lichtblicke, die da sind und nur gesehen werden wollen. Da ist mehr. Gott. Da ist jemand, EINER, dessen Wirken mein ganzes Leben durchzieht. Der mir leuchtende Momente schenkt, wenn ich nur genau hinschaue. Mehr als das Offensichtliche. Leben, das den ganzen Wald durchzieht wie das Myzel von Pilzen, das unterirdisch wächst und ein dichtes Geflecht bildet, das schließlich in kleinen gelben Flecken nach außen sichtbar wird. Der Himmel düster. Zu meinen Füßen ein Teppich aus Sternen im grünen Moos. Pfifferlinge, Geschenke des Waldes, die ich ernten und mitnehmen darf . Die ich nicht geplant, verdient oder vorhergesehen habe – und die mir gerade deshalb aus dem Moos, unter Baumwurzeln oder abgesägten Ästen als helle gelbe Punkte entgegenleuchten. Gerade in diesem Jahr länger als sonst.