18.12.2022
Besinnungswort zum 17.12.2022

Von Pfarrer Thomas Schumann,  Evangelischer Klinikseelsorger im SRH-Zentralklinikum Suhl

100 000 Lichter

 

Florian Silbereisen beglückt uns dieses Jahr gleich zweimal mit einer Weihnachtsshow. Nach dem Adventsfest der 100 000 Lichter legt er diese Tage mit einer weiteren Show nach. Mit viel Schlagerprominenz wird gesungen und geklönt. Kunstschnee fällt auf die mit Kugeln überladenen Christbäume. Ja, es wird dick aufgetragen – eine Show voller guter Gefühle. Probleme gibt es nicht, nur Wunder und ein sentimentaler Blick darauf, wie jemand einem anderen geholfen hat. Ach, geht das einem zu Herzen!  Nun ist nicht jeder ein Schlagerfan. Aber in abgewandelter Form brauchen wir das alle. Ein wenig Abstand von dem Alltag, ein wenig Zerstreuung - so nach dem Motto: „Wenn Dich das Leben nervt, streu Konfetti drüber!“ Ich sehne mich auch danach, einfach mal durchzuatmen, mich zu zerstreuen, die Sorgen nicht zu sehen. Nur erlaubten mir das weder mein Beruf noch meine Familie, noch die Gesellschaft, deren Teil ich bin. Täglich prasseln neue Probleme auf mich ein, mit denen ich umgehen muss. Gut, manche reden es sich schön und nennen es „Herausforderung“. Das klingt etwas Netter, ist aber nichts anderes. Beides muss man bewältigen. Dennoch ist da diese Sehnsucht, dass es einfach mal gut ist. Dass für mich gesorgt ist. Und wenn es nur ein Moment wäre! In der Adventszeit spüre ich das ganz besonders. Ich möchte ganz und heil sein – und bin es doch nicht. Ich möchte fröhlich und ausgelassen sein – und stoße an meine Grenzen. Ich möchte unbeschwert sein – und knabbere an meinen Problemen. Wie nahe liegt es da, Konfetti drüber zu streuen: Statt Problemen Kekse zu knabbern, ausgelassene Weihnachtsfeiern zu begehen und nur so von Sentimentaliät triefende Weihnachtssendungen zu schauen. Und wie in einem schlechten Film wissen wir, was dann kommt: Die Neujahrsdiät, der Kater und die Realität in voller Wucht. Alles wie gehabt.

„Advent ist für mich, wenn ich am Abend eine Kerze am Abend anzünde. Mehr brauche ich nicht“, sagte mir ein Patient im Klinikum. Ich hatte ihn gefragt, wie es ihm damit ginge, ausgerechnet im Advent im Klinikum gelandet zu sein. Die Antwort hat mich umgehauen. Ich wusste erst gar nicht was ich darauf sagen sollte. Der Mann hatte Recht. Es ist so einfach! Und so schwer zugleich! Erst einmal, sich dafür Zeit zu nehmen. Den Wert zu erachten, eine Kerze anzuzünden. Und dann, diese Kerze zu beobachten, wie sie brennt. Diese innere Unruhe los zu werden. Und dann, zu merken, welche Gedanken und Gefühle gerade in mir sind. Viele pusten in jenem Moment die Kerze aus. Aber es lohnt sich, die Kerze anzulassen und die Gedanken und Gefühle nicht zu bewerten. Sie wie einen Atemzug kommen und gehen und ziehen zu lassen. Einen Moment mal nichts zu denken und diese Leere auszuhalten. Und dann etwas zu merken: Dass ich nicht allein bin. Dass da Jemand ist. Der mich ins Leben gerufen hat. Und immer noch da ist. Der nicht wegläuft - auch wenn mein Leben gerade zum Weglaufen ist. Der mich offenbar so liebt, dass er das mit mir aushält. Und zu mir hält. Ist das nicht wunderbar? Da brauche ich nichts mehr. Da brauche ich keine 100.000 Lichter, keine Weihnachtsfeier, keinen Keks, kein Konfetti. Gott ist da. Es ist für den Moment alles gut. Aber nicht nur für den Moment. Meine Zukunft erscheint nicht mehr so chancenlos. Ob ich es nun Problem oder Herausforderung nenne - ich habe wieder Hoffnung. Der Kater bleibt aus. Denn Gott ist und bleibt da und geht mit mir durchs Leben. Mein Leben steht unter einem guten Stern, so wie es auch Jochen Klepper 1938 in seinem Lied „Die Nacht ist vorgedrungen“ ausdrückt: 

„Noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und -schuld. Doch wandert nun mit allen der Stern der Gotteshuld. Beglänzt von seinem Lichte, hält euch kein Dunkel mehr, von Gottes Angesichte kam euch die Rettung her.“  

Und vielleicht nehmen Sie sich heute mal die Zeit, nur diese eine Kerze für sich anzuzünden. Mehr braucht es nicht.