13.07.2022
Besinnungswort zum 10.07.2022

von Almut Ehrhardt, Leiterin Familienzentrum und Mehrgenerationenhaus "Die Insel", Suhl

Almut Ehrhardt

Als ich Schülerin in der 11. oder 12. Klasse war, brachte mir meine Großmutter eine getragene Jacke „aus dem Westen“ mit. Das war ungewöhnlich, weil meine Großmutter eine kleine zierliche Frau war, die normalerweise nicht viel Gepäck mit auf die Reise nahm. Sie sagte mir nur, dass das Besondere im Inneren der Jacke „stecke“. Tatsächlich fand ich in einer der Seitentaschen einen Aufnäher: rund, etwa 8 cm im Durchmesser, ein roter Rand wie bei dem Straßenverkehrsschild „Verbot für Fahrzeuge aller Art“, im Kreis das Bild der Bronze-Skulptur des russischen Künstlers Jewgeni Wiktorowith: Der Schmied, der aus einem Schwert einen Pflug schmiedet und darum herum zitiert aus der Bibel: Micha 4,3: „Schwerter zu Pflugscharen“. Ich jubelte, als ich den Aufnäher in der Hand hielt und nähte ihn auch gleich auf die Jacke auf, am linken Oberarm. Ich trug diese Jacke auch in der Schule. Es kam wie es kommen musste: Irgendwann sah mich der Schulleiter mit dieser Jacke und zitierte mich in sein Büro. Wie ich denn diese Jacke in der Öffentlichkeit tragen könnte! Dieser Aufnäher gehöre nicht zur offiziellen Friedenspolitik der DDR. Er befahl mir, dass ich den Aufnäher sofort zu entfernen hätte, oder ich würde der Schule verwiesen. Zähneknirschend folgte ich dem Befehl des Schulleiters, denn ich wollte mein Abitur nicht aufs Spiel setzen. ABER: als ich den Aufnäher entfernt hatte, sah man, dass dort, wo er befestigt war, die Jacke vom Waschen nicht ausgeblichen war, der dunkle Kreis war deutlich sichtbar, jeder wusste, was da für ein Aufnäher befestigt war. Ich trug diesen dunklen Fleck mit Stolz! Heute habe ich dieses Friedenszeichen an markanten Orten um mich herum platziert, aus gutem Grund! Ich stelle mir vor, der Schmied macht aus dem Schwert ein Messer, um Schulbrote für hungrige Schulkinder zu schmieren! Ich sehe noch vor mir ein Wahlplakat der Grünen aus dem Sommer 2021: „Keine Waffen und Rüstungsgüter in Kriegsgebiete. Daneben steht: Am 26.9.(21) GRÜN wählen!“ Und was ist jetzt??? Die Bundesregierung hat auf einer ihrer Seiten veröffentlicht, welche Rüstungsgüter in die Ukraine geliefert werden. Es steht keine Summe unter der schier endlos erscheinenden Liste, aber ich glaube, das ist kein Schnäppchen. Wenn ich mir vorstelle, dass dieses Geld für kostenlose Schulspeisung in Deutschland eingesetzt würde, gäbe es für jedes Schulkind in Deutschland wahrscheinlich ein gesundes 3-Gänge Menü. Und dann sehe ich vor mir, dass ab September die Suhler Kindertafel vielleicht keine Brote mehr an die Schulen liefern kann, weil es kein Geld mehr dafür gibt. Fast 100 Suhler Kinder bekommen von ihren Eltern keine Pausenbrote mit in die Schule. Das grenzt in meinen Augen an Kindeswohlgefährdung. Aber keiner schreit, nur wenige tun etwas dagegen. Diejenigen, die etwas tun, werden belächelt. Ein Unternehmen aus Suhl hat sich seit Mai dieser Aufgabe angenommen, weil es dem Firmeninhaber ein Herzensanliegen ist, dass Kinder einen guten Start ins Leben haben, und dazu gehört ein Schulbrot. Aber mit dem Schuljahr nächste Woche endet auch diese Unterstützung, weil es ein Unternehmen alleine nicht leisten kann, was anderswo versäumt wird. Bisher haben sich noch nicht genügend Unterstützer für die Weiterführung dieses Projektes gefunden, das ist bittere Realität mitten im reichen Deutschland. Mit Waffen wird man keinen Krieg beenden, das ist meine feste Überzeugung. Bei Micha 4,3 steht: „Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen…und sie werden nicht mehr lernen Krieg zu führen.“ Ein großer Wunsch, etwa 2300 Jahre alt. Mein Wunsch, so lange es irgendwo noch Krieg gibt.