18.11.2021
Besinnungswort zum Ewigkeitssonntag

Von Pfarrer Thomas Schumann, Evangelischer Klinikseelsorger im SRH-Zentralklinikum Suhl

Sophia

Sophia Thiel: Sie ist eine der großen Influencerinnen im Fitnessbereich der letzten Jahre gewesen: Innerhalb von drei Jahren nahm sie 25 Kilogramm ab und stieg mit ihrem eigenen Fitnessprogramm ins große Fitnessgeschäft ein. Mit ihren Tipps, ganz einfach umzusetzen, wurde sie zum Vorbild vieler Menschen - in der Sehnsucht nach dem perfekten Körper. Sie wollten Sophia sein.  Und sie taten alles dafür.

Dann verschwand Sophia im Jahr 2019 von der Bildfläche - kurz vor einer großen Fitnessmesse und ließ rätselnde Fans hinter sich. Erst in diesem Frühjahr tauchte sie wieder auf, die Sophia. Verändert. Mit vollem Gesicht und einer Botschaft: Sie habe ein falsches Bild hinterlassen und sei mit sich selbst härter gewesen als ihre Tipps vermuten ließen.

War das nicht absehbar? Wussten oder ahnten das nicht alle schon vorher? In diesem Fall vielleicht. In anderen Fällen hingegen weniger.

"Mit Corona wird es schon nicht so schlimm werden, eine Impfung ist nicht nötig. Ich überstehe das schon so.“ Das war ein Heilsversprechen, angefüttert mit viel falschen Informationen, Gerüchten. Es war einfach schöner, nicht auf die Mehrheit der Forscher zu hören. Es war schöner, die zu hören, die das Ganze lockerer sahen. Nun laufen erneut die Intensivstationen voll.

Es war schöner, auf die zu hören, die den Klimawandel leugnen, und die uns sagen: „Es wird sich nichts verändern, weiter so“, - bis die Folgen unverkennbar waren.

Es war schöner, auf eine Sophia Thiel zu hören und sich zu kasteien - bis sich herausstellte: Sophia Thiel hat eine schwere Essstörung entwickelt.

Nun, Sophia Thiel präsentiert sich heute mit vielen Rundungen. Eine offenbar weise - wenn auch schmerzhafte - Entscheidung, denn es geht ihr besser. Sie akzeptiert sich so, wie sie geschaffen ist. Das hat ihr die Kraft gegeben, ihr Leben anders und neu zu gestalten.

Sophia macht damit ihrem Namen alle Ehre. Denn Sophia heißt nichts anderes als Weisheit. Dieser Begriff wird auch in dem biblischen Ausspruch „Lehre uns zu bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir weise (also: Sophia) werden,“ verwendet. Genauer übersetzt: „Lerne uns zu bedenken wie wenig Lebenstage uns bleiben, damit wir ein Herz voll Weisheit erlangen!“ (Psalm 90,12).

Diese Worte beinhalten kein falsches Heilsversprechen, sondern die pure Wahrheit: Wir sind vergänglich. Jeder Tag ist ein Schritt näher an den Tod. Wer etwas anderes behauptet, täuscht sich selbst und andere. Damit ergibt sich Frage: Was dient dem Leben? Diese Frage klingt zunächst geschmeidig - bis wir merken, dass es uns selbst zu kritischer Selbstprüfung auffordert: „Ein Herz voll Weisheit“. Bin ich weise in meinem Denken, Tun und Handeln?

Am Sonntag gedenken wir der Verstorbenen. Es ist ein Tag, wo es wahrlich schöner ist, alles für den Advent zu dekorieren - doch das ist nicht weise, sondern Verdrängung der Wirklichkeit. Weisheit bedeutet für mich diese Tage, die Corona-Pandemie endlich anzuerkennen und Schlüsse für die kommenden Wochen zu ziehen. Weisheit bedeutet, respektvoll mit dem Tod umzugehen, aber auch das Leben und Gott zu suchen.

Bei Beisetzungen spreche ich immer die Worte: „Das Vergängliche vertrauen wir der Erde an. Das Unvergängliche aber dem Himmel.“ Für mich steht der Gedanke dahinter: Was oder wen wir hinter uns oder los lassen: Der Wesenskern, unsere Seele, das Leben, bleibt in Gott geborgen. Was auch immer geschehen ist und geschehen wird: Gott gibt Acht auf uns. Wenn das mich heil macht und meinen Schmerz lindert, dann ist das kein Heilsversprechen, sondern ein wirkliches Heilwerden. Das ist Sophia, reine Weisheit.